Anja Beecken wurde in Hamburg geboren und wuchs ohne Ostverwandtschaft auf. Für sie existierte die DDR nur im Fernsehen und als Grenzen mit Mauern und Wachtürmen.
Erst als sie 1982 für ihr Studium nach Braunschweig zog, fing sie an sich für dieses Land auf der anderen Seite der Grenze zu interessieren. Sie reiste mehrfach durch die DDR.
Der Mauerfall 1989, sie arbeitete gerade als Architektin in Florenz, kam ihr völlig unwirklich vor: Wie sollten nach vier Jahrzehnten zwei so unterschiedlich gewordene Länder zusammenwachsen?
Bis 1991 war Anja Beecken in Florenz, Stuttgart und Frankfurt am Main tätig. Dann packte sie ihre Sachen, verließ im Alter von 28 Jahren ihre Freunde und ein Leben in Westdeutschland und zog nach Berlin.


Abgrenzung
Schilf trennt Wasser und Land. Einmal vom Wasser und einmal vom Land aus markiert das Schilf den Übergang. Vielleicht sogar den Übergang vom Sein zum Vergehen. Hinter dem Schilf befindet sich das Andere, das Fremde. Der Übergang ist seicht. Der Boden halb Land und halb Wasser.
Ob es um die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland geht, oder um Fremdheit durch unterschiedliche Kirchen, Glaubensgemeinschaften oder Kulturen. Fremdes und Unterschiedliches erzeugt gleichzeitig Freude, Unbehagen, Angst, Hoffnung, Neugier und Staunen.
Die immer schneller globalisierende Welt mit allen ihren Problemen von z.B. Kriegen, Hunger oder Klimafragen, die für alle im Moment kaum auszuhalten sind, lassen weltweit einen lauteren Ruf nach starker Führung, nach Autokraten und Populisten vernehmen, die schnelle einfache Lösungen für globale komplexe Probleme versprechen. Wohin führt uns das? Was können wir tun?
Grenzerfahrung
Dieses zweiteilige Bild malte ich, als plötzlich die Welt um uns herum stillstand. Im Fernsehen liefen Bilder von weiß verpackten Menschen, die die Straßen von Wuhan desinfizierten. Die Bilder, die man sah, waren unerklärlich, unfassbar.
Wir befanden uns plötzlich im „Lockdown“. Die Welt stand still. Wir durften uns nicht mehr frei bewegen, frei mit Menschen treffen. Die Ängste und das Eingesperrt sein haben etwas mit uns gemacht. Die Regierung war plötzlich allgegenwärtig, und ich denke Menschen, die schon zuvor schlechte Erfahrungen mit Autoritäten gemacht haben, die sich schon zuvor eingeschränkt gefühlt hatten, litten besonders. Und sie waren vielleicht auch besonders sensibilisiert.
Unser ganzes Land wirkt seitdem gelähmt. Neben Orientierungslosigkeit gibt es aber auch mehr Aggression. Toleranz, Offenheit, Akzeptanz dem Fremden gegenüber fehlen in Ost und West mehr denn je. War der Lockdown eine gemeinsame Erfahrung? Wachsen wir doch weiter zusammen?
Grenzüberschreitung
Dieses Bild entstand unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Diffuse, raumgreifend erscheinende Lichter durchziehen die Fläche und evozierend eine Explosion von vereinnahmendem Ausmaß, dass sie unweigerlich an den Supergau erinnert, vor dem wir seit dem ersten Moment des Kriegsbeginns Angst haben.
Global stehen sich die Fronten erneut gegenüber, die im kalten Krieg bis 1991 gefürchtet waren.
Spalten diese Ereignisse unser Land weiter? Ich kenne niemanden, der für den Krieg ist, doch die Lösungsansätze für den Frieden variieren stark. Ich nenne diese Arbeit „Phönix“, weil es mir Hoffnung auf ein positives Wiederauferstehen der Ukraine gibt. Hoffnung ist wichtig.
Grenzenlos
Ich beschäftige mich in meiner Kunst mit „Schilf“, wie ich es nenne. Als Metapher steht es für eine Übergangszone zwischen dem Leben und dem Tod, der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, wie auch der anfassbaren und nicht anfassbaren. Tatsächlich steht es auf der Grenze zwischen Wasser und Land.
Aber das Schilf ist auch permeabel. Und so handeln meine Bilder auch von den wenigen Einblicken, die wir wie durch einen Vorhang durchschimmern sehen können. Diese wenigen Momente, in denen die Schleier Risse bekommen, machen mich sehr glücklich. Sie versuche ich darzustellen. Aus diesen kleinen Sichtfenstern können wir wie aus Puzzlestücken die fremden Welten erahnen.
Wichtig ist dabei meiner Meinung nach, dass man sich immer bewusst ist, nur weniges zu verstehen. Sind wir bereit mehr wissen zu wollen? Sind wir bereit zu akzeptieren, dass wir nicht alles wissen ?